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Die Wilden vom Sassalbo

Die Wilden vom Sassalbo

Östlich von Poschiavo erhebt sich der riesige Sassalbo, an dessen Fusse tiefe Höhlen in das Innere des Berges dringen, die früher von «Wilden» bewohnt wurden. Diese Wilden waren von ungewöhnlich grosser Natur und ungestalt. Sie hatten mehr Ähnlichkeit mit Bären als mit Menschen, und die Bewohner der umliegenden Dörfchen und Häuser redeten nur mit Schrecken von diesen Ungeheuern; das auch mit Recht, denn die Wilden waren auch Menschenfresser. Äusserst selten zeigten sie sich menschenfreundlich und dienstfertig.

Diese Wilden, im Volksmund Salvanchi genannt, stiegen oft ins Tal herab, aber immer nachts. Als Stock dienten ihnen Tannen, die sie samt Wurzeln aus dem Boden rissen als seien es Grashalme.

Eines Tages kam ein Wilder auf die Alp Sassiglion herab und trat in die Sennhütte ein, wo die Sennen gerade am Käsen waren. Die Macht und Stärke eines Wilden kennend, machten die Sennen keinen Versuch zu entrinnen, umso mehr, als der Wilde ganz freundlich zu ihnen trat und ihnen zuschaute, wie sie kästen. Die Älpler fassten Mut und vollendeten ihr Geschäft. Nachdem der Käse aus dem Kessel gehoben wurde, zeigte er ihnen, wie man aus der «Schotte» (Molke) Wachs bereiten könne. Da aber der Schrecken vor dem Wilden den Sennen zu sehr zugesetzt hatte, entfiel ihnen das Geheimnis und nie mehr konnten sie sich dessen besinnen.

Einmal fand eine «Wilde» zwei Knäblein, die sich im Walde verirrt hatten, und trug sie in die Höhle des Sassalbo. Dort gab sie ihnen manchen Leckerbissen und versteckte sie in einer Felsenspalte, um sie nicht der Gefahr auszusetzen, von den auf Raub ausgegangenen Männern bei ihrer Rückkehr gefressen zu werden.

Bald darauf kamen die Männer beutebeladen zurück. Kaum in die Höhle eingetreten, schnupperten sie wie Jagdhunde herum und sagten: «gnan, gnan, carn da cristian» (hier riecht‘s nach Christenfleisch). Die Wilde hatte grosse Mühe, die Aufmerksamkeit der blutdürstigen Gesellen von den armen Kleinen zu lenken, welche in Todesangst in ihrer Felsritze die Nacht verbrachten. Am Morgen, als die bösen Männer noch schliefen, führte die Wilde die zwei Knäblein bis in die Nähe des elterlichen Hauses.

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